Why did they wait so long? – Filmgespräch mit Zukunftsblick
Why did they wait so long? Judy Meisel, Holocaust-Überlebende, stellt zu Beginn des Dokumentarfilms „Fritz Bauers Erbe: Gerechtigkeit verjährt nicht“ die entscheidende Frage zur Strafverfolgung der Täter*innen, Mittäter*innen und Helfer*innen des Holocaust. Meisel und Roza Bloch, zwei Überlebende des KZs Stutthof, stehen als Protagonistinnen im Zentrum der Erzählung um die Aufarbeitung des Holocaust und die Verfolgung von Täter*innen, bei der auch die Entwicklung der Rechtsprechung um die Prozesse gegen KZ-Aufseher aufgezeigt wird. Noch vor dem Kinostart des Films hatten Schüler*innen der Jacob-Grimm-Schule (JGS) und des Friedrichsgymnasiums nicht nur die Gelegenheit den Film exklusiv im Gloria-Kino zu sehen, sondern auch mit einer der Regisseur*innen, Isabel Gathof, ins Gespräch zu kommen. Möglich gemacht hat diese Kooperation insbesondere João Ventura, Lehrerin an der JGS, die den Film im Rahmen des Dokfestes gesehen hatte.
Im Anschluss an den gut neunzigminütigen Film beantwortete die Regisseurin Fragen von Schüler*innen zur Dramaturgie und zur Arbeit an ihren Filmprojekten. Insbesondere die Erzählungen über persönliche Kontakte zu den Protogonistinnen des Films waren dabei eindrücklich, weshalb Gathof nicht immer Distanz zu den Ereignissen und Entwicklungen rund um die im Film thematisierten Strafprozesse gegen KZ-Aufseher in den Jahren 2019 und 2020 wahren konnte, wie sie zugibt. Während der Dreharbeiten sei über einen Bekannten der Kontakt zu einer ehemaligen Insassin des KZ Stutthof, Roza Bloch, zu Stande gekommen. Dadurch wurde Roza mit ihrer Lebensgeschichte nicht nur Teil des Films, sondern zunächst Zeugin und dann Mitanklägerin in einem Prozess vor dem Hamburger Landgericht. Die Regisseurin Gathof wurde damit selbst zur treibenden Kraft ihrer Erzählung.
Die gezeigten Bilder aus den Konzentrationslagern erweckten bei einigen Schüler*innen der JGS erneut Eindrücke, die sie während ihrer Studienfahrt nach Auschwitz in der Woche zuvor erlebt hatten. Ein*e Schüler*in finde Ausmaß und Art des Holocaust immer noch unvorstellbar, trotz der eigenen Eindrücke, und lobte die Nähe zu den Opfern des Holocaust, die der Film schaffe. Die Auseinandersetzung des Films mit der Aufarbeitung und der Strafverfolgung durch deutsche Behörden und Gerichten wurde von einem*r Teilnehmer*in der Studienfahrt beurteilt, dabei war von Versagen die Rede.
Weitere Fragen der Schüler*innen an Isabel Gathof richteten sich auf die Wahrnehmung und Beurteilung des gezeigten Prozesses gegen den KZ-Aufseher Bruno Dey vor dem Hamburger Landgericht 2020. Eine sichtbare Reaktion oder ein Schuldeingeständnis des Angeklagten wäre nicht erkennbar gewesen, Gathof habe ein Gespräch zwischen Dey und der Mitanklägerin Roza Bloch, mit der sie auch nach den Dreharbeiten noch in Kontakt stehe, vermisst. Durch Interviews und den Einbezug der beiden Enkel von Judy Meisel und Roza Bloch habe die Filmemacherin zudem den Blick der Enkel*innengeneration auf den Prozess und die Geschichte der beiden Protagonistinnen lenken wollen, deshalb bedauere sie, dass die Enkel*innen des Angeklagten ihre Perspektive nicht haben einbringen wollen. Sie wertete dies als verpasste Dialogchance innerhalb der Enkel*innengeneration.
Trotz der Kritik an den Prozessen bilanzierte die Regisseurin Isabel Gathof, dass durch das Urteil gegen Bruno Dey Schuld kenntlich gemacht werde. Während des Prozesses habe sie auf der einen Seite Groll und Schmerz der Überlebenden Roza Bloch erleben können, die nach wie vor an Spätfolgen leide. Auf der anderen Seite habe sich für Roza eine Möglichkeit geboten, stellvertretend für alle Opfer des KZs Stutthof vor Gericht sprechen zu können. Dabei habe sie Größe und Selbstbewusstsein bewiesen. Gathof bezeichnete den Prozess um Bruno Dey insgesamt als „nachträglichen Triumph des Rechtsstaates“, der für die Gegenwart aufzeige, wie wichtig die Verurteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Schaffung von Gerechtigkeit sei.
Die KZ-Überlebende Judy Meisel hatte am Ende des Dokumentarfilms noch eine Botschaft an die junge Generation: „You need a mission in life.“, an die Gathof anknüpfte. Für ein zukünftiges verantwortungsvolles Leben der Schüler*innen in der Gesellschaft seien lebendiges Erinnern sowie das Einstehen und Einsetzen für Menschenrechte entscheidend. Gegen Unrecht müsse die Stimme erhoben werden, es müsse erkannt werden, wann die Zeit sei, „Nein“ zu sagen, sich zu widersetzen.
Text: Christopher Huscher
Bilder: Domenica Haas